Vukovar - die verwundete Stadt

Vukovar

Wer Slawonien besucht, kommt am Krieg um die kroatische Unabhängigkeit nicht vorbei. Die Wunden im Osten des Landes sind noch deutlich zu sehen und werden von Nationalisten auf beiden Seiten gerne erneuert. Zwar nicht mehr durch Granaten, aber scharfe Worte haben dieselbe Wirkung. Das Symbol für den Krieg schlechthin ist Vukovar, eine Kleinstadt an der Mündung der Vuka in die Donau. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die deutschstämmige Bevölkerung vertrieben und eine serbische, sowie kroatische angesiedelt. Die durch gewiefte Politik angeheizte Stimmung zwischen den Ethnien Ende der 80er Jahre erreichte mit dem „Scharmützel von Borovo Selo“, welches nur 10 km von Vukovar stattfand, seinen vorläufigen Hohepunkt. Am 01. Mai 1991 wurden vier kroatische Polizisten festgenommen, als sie eine jugoslawische gegen eine kroatische Flagge tauschen wollten. Einen Tag später wurden aus Osijek etwa 150 weitere Polizisten nach Borovo Selo entsandt. Ab hier gibt es verschiedene Interpretationen was an diesem Tag passierte. Es steht aber fest, dass es zu einer Schießerei zwischen den Polizisten und der serbischen Bevölkerung kam, welche wiederum von paramilitärischen (serbischen) Einheiten unterstutzt wurde. Es gab zahlreiche Tote auf beiden Seiten und dieser Vorfall war natürlich Wasser auf die Mühlen der Nationalisten beider Seiten. Nur wenige Tage später fand im Maksimir Stadion das Spiel zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad statt. Spätestens seit diesen massiven Auseinandersetzungen galt ein Krieg für unausweichlich, da selbst gemäßigte Politiker nicht mehr an Frieden glaubten. So kam es vom 14. September bis zum 20. November 1991 zur Schlacht um Vukovar. Es sollte die blutigste Auseinandersetzung in diesem Krieg werden. Auf kroatischer Seite stand lediglich die aus Freiwilligen, Polizisten und der Nationalgarde zusammengeschusterte 204. Vukovarer Brigade, bestehend aus ca. 2200 Mann bereit. Die jugoslawische Volksarmee (JNA) benötigte drei Anlaufe um die Stadt zu erobern. Durch diesen massiven Widerstand erhielten die Brigade und die Stadt den Heldenstatus. Nachdem die ersten zwei Eroberungsversuche erfolglos abgebrochen wurden, änderte die JNA ab dem 29. Oktober ihre Taktik und beschoss die Stadt täglich mit 8000 Granaten. Das bedeutet, im Durchschnitt alle 11 Sekunden eine Granate. Auf beiden Seiten kam es zu fürchterlichen Massakern. Traurige Berühmtheit erhielt dabei das Massaker von Borovo Naselje. Nach der Eroberung am 19. November wurden über 200 schwerverletzte Soldaten, aber auch Zivilisten aus einem Krankenhaus in Vukovar von der JNA in eine Schweinefarm deportiert und dort massakriert. Heldenstatus erhielt die Stadt nicht nur wegen ihren heftigen Widerstand, sondern auch wegen zwei jungen Soldaten. Auf dem Wasserturm, welcher heute als Symbol fur den Unabhängigkeitskrieg dient, wehte eine kroatische Fahne. Diese wurde permanent von der JNA beschossen. Die zwei Jungs kletterten aber immer wieder, trotz Beschuss, auf den Turm und hängten eine neue Fahne auf. Ob die Geschichte wirklich so stattfand, lasst sich nicht 100% klaren, aber in den kroatischen Geschichtsbüchern wird sie definitiv so stehen. Vor allem die Delije von Roter Stern Belgrad hat das Thema Vukovar angenommen. Kurz nach der Schlacht präsentierten sie in ihrem Block die Straßenschilder „Noch 20 km bis Vukovar“, „Noch 10 km bis Vukovar“ und „Herzlich willkommen in Vukovar“. Das zeigt vor allem eins, dass die Paramilitärs und Fußballfans eng verbunden waren und es eine gewisse Solidarität gab, nicht nur wegen Arkan dem Tiger, welcher Mitglied der Delije war.

Auch heute zeigen sie noch gerne Fahnen mit Vukovar in kyrillischer Schrift und beschmieren Graffitis in Slawonien, welche das Thema aufgreifen. Auf kroatischer Seite haben auch nahezu alle Fanszenen Fahnen mit Bezug zu Vukovar. Im November nehmen diese auch oftmals als Gruppe an den Gedenkfeierlichkeiten in der Stadt teil. So kamen zum 25. Jahrestag vom Fall Vukovars mehr als 100.000 Menschen zu einem Marsch durch die Stadt zusammen, darunter viele Veteranen und Ultras. Wie schon erwähnt sind die Wunden nicht verheilt. Neuester Streitpunkt sind Schilder an öffentlichen Gebäuden, die laut einem Gesetz und auf Druck der EU zweisprachig beschildert werden sollen. Mehr als 20.000 Menschen demonstrierten dagegen und sahen es als ein Schlag ins Gesicht für die Opfer an. Veteranen argumentieren, dass sie damals auch gegen die kyrillische Schrift in den Krieg gezogen sind und diesen heute kampflos verlieren sollen. Die Bevölkerung vor Ort spricht heute davon, dass Vukovar ein zweites Mal fällt, verwundet ist sie bereits. Die Altstadt wurde aufwendig restauriert, das Schloss Elt erscheint in altem Glanze, aber die Wirtschaft ist komplett am Boden und die Leute die voller Hoffnung auf einen Neuanfang zurückkamen, werden wieder wegziehen. Innerhalb der Gesellschaft rumort es ebenfalls. Eine Versöhnung mit der serbischen Bevölkerung, welche 1/3 ausmacht, scheint nicht stattzufinden und so gibt es eigene Kindergärten und Schulen für die Ethnien. Problematisch ist vor allem die Aufarbeitung. Bei den Kroaten wird von den Tschetniks gesprochen, die ein großserbisches Imperium aufbauen wollen – von Kriegsverbrechen auf ihrer eigenen Seite? Kein Wort. Aus serbischer Sicht wollen sich alle vor einer Wiederholung der Ustaša Verbrechen schützen – Kriegsverbrecher auf ihrer Seite? Kein Wort. Es gibt zwar Vereine, die ein Zusammenleben fordern wollen, aber die Wunden sind bei vielen zu frisch und eine Versöhnung kann ohne eine Anerkennung der eigenen Schuld nicht stattfinden. Stattdessen wird das eigene Leid gemessen und jeder behauptet, er hat das größere. Die kroatische Regierung hält gerne an dem Image einer Märtyrerstadt fest. In Imagefilmen über die Stadt wird fast ausschließlich kriegerisches Leid gezeigt, nicht aber die Vorteile der Stadt. Die Donau und die äußerst fruchtbaren Böden werden nicht als Wirtschaftsmotor genutzt. Nicht um sonst war es vor dem Krieg eine Industriestadt mit mehr Arbeitsplätzen als Einwohnern. Vukovar - die verwundete Stadt.


Kommentare: 1
  • #1

    Anti-Held (Donnerstag, 21 November 2019 11:01)

    Nie wieder Krieg!

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